Geschichtswanderung durch Lurup  

(ausgearbeitet von Dietrich Helling helling.lurup@gmx.de oder Tel. 040/835625)

Der Text zum Ausdrucken und Wandern ist hier, die Abbildungen sind hier.


Der Wanderweg ist etwa 5 Kilometer lang und in einer reinen Laufzeit von 65 Minuten zu bewältigen; dennoch hat die Führung ca. 2 ¼ Stunden gedauert. Abkürzungen oder Auslassungen

sollten nach Bedarf vorgenommen werden.

Station 1: Die Straße beim Lurup um 1789

Stellen wir uns vor:

 Wir steigen aus einer Zeitmaschine, deren Fahrtziel wir auf das Jahr „1789“ eingestellt haben.

Wenn wir uns an unserem Landepunkt Lurup umsehen, dann registrieren wir eine relativ neue Ansammlung von Hofstellen rechts und links einer sicher viel älteren Straße. Die Gegend ist von Heide- und Moorflächen geprägt, sie müsste uns an Partien aus dem heutigen Klövensteen erinnern.

Aber an Naherholungsgebiet denkt zu dieser Zeit noch niemand, obwohl schräg über die Straße bereits der Krug, wohl mit dem Namen „Luhrup“, zur Einkehr lockt.

Die nächsten umliegenden Dörfer - sie gehören wie die gesamte Grafschaft Pinneberg-Hatzburg zur dänischen Krone - sind alle mindestens 500 Jahre älter: Gros-Flottbek und Ostdorf im Süden,

Barenfeld und Eylstede im Osten und im Westen Schenefeld mit dem geheimnisvollen außerhalb liegenden Gutshof Friedrichshulde.

Aus der Sicht dieser Dörfer liegt unsere Siedlung auf  deren Gemarkung außerhalb der Ackerflächen, der sog. Allmende, die für die Groß-Flottbeker bis zum Vermoor (Fernmoor) reicht. Noch ist der Streit um die Steuerpflicht der neuen Siedler nicht beendet.

In diesem Jahr 1789 hat allerdings erstmalig eine neue Vermessung stattgefunden, die alle Flurstücke bestimmten Höfen zugeordnet hat. Das neue „Erdbuch“ ist von allen Siedlern unterzeichnet worden, allerdings zehn von achtzehn Siedlern  konnten ihren Namen nicht schreiben und unterzeichneten mit einem Kreuz.

Schauen wir noch kurz auf unsere Umgebung,  die östliche Dorfseite.

Abb. 1

Station 2: Literatur – Zu welchem Zweck und Ende Heimatgeschichte ?

Vielleicht darf ich mich kurz vorstellen. Meine Familie und ich sind 1976 nach Lurup gezogen, in einen dieser Reihenbungalows nördlich der Oderstraße. Ich habe als Chemiker mein Arbeitsleben an der Hamburger Uni zugebracht und bin damit alles andere als ein Fachmann in Geschichte oder Landesgeschichte. Ich hoffe, dass das für Sie, liebe Mitwanderer, nicht nur Nachteile hat, weil ich ohne Scheu vor dem Urteil der Kollegen frei von der Leber weg reden kann. Damit ich Ihnen nicht zu viel Unsinn erzähle, habe ich mir natürlich Hilfe von Büchern geholt, von denen ich Ihnen zwei nennen möchte:

1. UDO KRELL: Lurup – Von der holsteinischen Landgemeinde zum Hamburger Stadtteil

M+K Hansa Verlag 1978

Dieses in Bezug auf die Dorfgeschichte sehr ausführliche Buch hat es mir erspart, die Quellen zu studieren. Es bietet für jeden der Luruper Höfe eine genaue Chronologie und bildet zahlreiche Quellen ab.

2. ANKE SCHULZ: Fischkistendorf Lurup

VSA Verlag Hamburg  2002

Frau Schulz ist selbst in einer Familie aufgewachsen, die seit 1931 in einem Siedlungshäuschen in Lurup lebte. Sie schildert in einer persönlich sehr anrührenden und engagierten Weise Lurups problematische Jahre von der Weltwirtschaftskrise über die Nazizeit bis zur frühen Nachkriegszeit.

Ich habe mich natürlich gefragt, warum es für andere Luruper und Gäste verlockend sein könnte, an solch einer Geschichtswanderung teilzunehmen. Und wieder habe ich als überzeugter Laie bei mir selbst nachgeprüft, was mich bewegt, nach der Geschichte des Ortes, an dem ich mehr als 30 Jahre gelebt habe, zu fragen.

Dabei geht mir eine kleine Entdeckung nicht wieder aus dem Kopf: Zufällig ist im Deutschen in dem Wort „Geschichte“ das Wörtchen „ich“ eingebettet. Die Suche in dem Wort „Heimat“ ist etwas  weiter her geholt, aber mit gutem Willen findet man „mei“ als süddeutsche Form von „mein“.

Ich will darauf hinaus, dass das Nachforschen über die Geschichte am eigenen Ort etwas mit dem Bewusstsein zu tun hat. Wenn sich unser Bewusstsein etwa zwischen dem 1. und 2. Lebensjahr entwickelt, so ist es darauf angelegt, die Außenwelt, besonders die eigene Umwelt nicht nur zu registrieren und zu erforschen, sondern geradezu zu annektieren: „mein Daumen, meine Mama, unser Haus“. Und dieser Eroberungsfeldzug des Bewusstseins hält lebenslang an ! Gut, er wird –hoffentlich! – gezähmt durch die eigene Vernunft, durch Normen und Gesetze, schlimmstenfalls durch die Justiz. Aber je näher unserem Bewusstsein bestimmte Dinge sind, desto mehr fühlen wir uns veranlasst, davon zumindest kognitiv Besitz zu ergreifen. Lurup kann man nicht anfassen oder in den Mund stecken, aber man kann nachvollziehen, wie das, was man sieht, entstanden ist,  das ist für mich reizvoll.

Leider kommt man, wenn man einige Dinge noch sehen will, in allerletzter Minute, vieles ist überwuchert von wunderschönen Bauherrenmodellen oder Sanierungsvorhaben, oft müssen wir

auf Dokumente zurückgreifen. Aber machen wir uns auf den Weg!  

Station 3: Das Schicksal der Hermes

Als ich vor einem halben Jahr mit der Planung für diese Wanderung anfing, habe ich mir vorgestellt, Ihnen etwas über die Geschichte dieses einzigen etwas größeren Industrieunternehmens von Lurup und seine Wechselbeziehung zum Stadtteil zu berichten. Ich habe deshalb versucht Kontakt zur Firmenleitung aufzunehmen und mich über die aktuelle Fertigung der Schleifprodukte zu informieren. Das aktuelle Geschehen hat diese Absicht stark relativiert.

Also deshalb nur ganz kurz:

1926 oder 1927 wurde die „Deutsche Schleifmittel-Industrie Christiansen & Co.“ gegründet. Ursprünglich fand die Fabrikation (ich stelle mir vor, das Aufkleben des vor Ort gefundenen Sandes auf Papier oder andere Träger) in einem Bauernhaus statt. In den 30er Jahren wurde das Gelände von Hof 1 übernommen und dort die Fabrikationsanlage errichtet. Die „Hermes Schleifmittel“, von der Umgebung liebevoll mit „die Schmirgel“ bezeichnet, war bekannt für ihre guten sozialen Einrichtungen. Ein großer Teil der Betriebsbelegschaft bestand aus Lurupern. Darüber hinaus waren viele selbständige Händler und Gewerbetreibende ständig für das Werk beschäftigt.

Vor einiger Zeit meldeten die Zeitungen, dass die Gesellschafterversammlung des Weltkonzerns Hermes (einige Hamburger und Bremer Familien) einen englischen Sanierer mit der Geschäftsleitung in Lurup beauftragt hat. Dieser fand auch sofort heraus, dass die Produktionseinbußen, verursacht durch die Weltwirtschaftskrise, nur dadurch eingedämmt werden könnten, dass die gesamte Produktion nach St. Leonhardt im Lavanttal in der Nähe von Graz verlagert würde, weil dort die Lohn- und Nebenkosten, auch die Energiekosten niedriger als in Hamburg seien. In Hamburg sollen nur F+E, Anwendungstechnik, Vertrieb und Marketing bleiben. Die Mitarbeiterschaft in Hamburg müsse halbiert werden Nach dem Ergebnis der Schlichtung verlieren 196 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Der teilweise oder komplette Verkauf des 49000 qm großen Firmengeländes sei bereits beschlossen.

Station 4: Die Flurkarte von 1789

Kommen wir noch mal auf die 1789 vorgenommene Verkoppelung, wie die Bodenreform hieß, zurück. Sie war  von oben angeordnet, also von der dänischen Krone und hatte außer fiskalischen Motiven den Grund, dass durch Flächentausch aus kleinen Ackerstreifen, die nur gemeinsam bewirtschaftet werden konnten, rentable Wirtschaftsflächen entstanden. Insbesondere in den seit langer Zeit bestehenden Dörfern war dies nötig. So war die Verkoppelung in Eidelstedt und Bahrenfeld schon 1769 durchgeführt worden, zum Teil gegen viele Widerstände der Bauern. Im jungen Lurup ergab die Vermessung keine großen Veränderungen. Das nach der Vermessung entstandene Kartenblatt sah wie folgt aus:

        Abb. 2

Ich habe mir erlaubt die zu den einzelnen Höfen gehörigen Flächen gegeneinander farbig abzusetzen.

Orientieren wir uns zunächst an den alten Straßen und Wegen: Neben der Hauptstraße ist die vom Dorf aus nördlich verlaufende Eckhofstraße (heute Jevenstedter Straße) zu erkennen. Sie wird gekreuzt vom Möhlenweg (heute Fahrenort/Spreestraße) etwas nördlich davon kreuzt der Kleiberweg. Weiter ist Böverstland und parallel dazu der Stückweg zu sehen. Die Flurstücke der Luruper Höfe werden durch den Böttcherkamp begrenzt. Der südlich davon liegende Flassbarg gehörte zur Groß-Flottbeker Feldmark.

Auf die Bodenbeschaffenheit verweisen einige Namen:

Luckmohr

Fahrmohrwisch

Sprützmohr

Viermohr

Schiedmohr

Östlich der Eckhofstraße geriet man direkt ins Moor. An anderen Stellen lag unter der trockenen Heide direkt der Sand. Wer nur ein bisschen von Landwirtschaft versteht, weiß, dass die Böden nichts hergaben, wenn man nicht großen Aufwand betrieb. Düngung war nicht bekannt, bis etwa 1820 sich die Reformen des Barons Voght  herumsprachen. Danach waren die Luruper Bauern  eifrig dabei, die Latrinen der Hamburger und Altonaer zu entsorgen und die Fäkalien in ihren „Dreckwagen“ auf ihre Felder zu transportieren.  

Dennoch blieb die Luruper Landwirtschaft ein schwieriges, mühseliges und risikoreiches Geschäft. Kein Wunder, dass zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, als auch nicht begüterte Leute nach einem Stückchen Land suchten, sie hier fündig wurden und auf willige Verkäufer trafen. So finden sich hier nördlich der Kleingartenkolonie „Kleinworth“ noch einige wenige Häuschen,die ihren Ursprung in einem selbstgezimmerten Behelfsheim hatten. Das Wort „Fischkistenhaus“ ist so griffig und hat sich so eingeprägt, weil es den Erfindungsreichtum beim Auftreiben von Baumaterial und die bittere Not der Erbauer veranschaulicht, wenn auch stark verniedlichend.

Das Häuschen Nr. 34, in dem die betagte Bewohnerin seit den 60er Jahren lebt, hat zusätzlich zu dem Eingangsvorbau auch weitere Verbesserungen erfahren. Es ist gemauert und hat ein solides Dach. Drei Räume liegen hintereinander. Es steht auf einem Grundstück von 800 qm,  in schlechten Zeiten sollten die Bewohner in der Lage sein, sich aus den Erträgen dieses Landes zu ernähren.

So rechnete jedenfalls die damalige Kommission, die den Siedlervertrag Elbkamp erarbeitete(1932)für den Zuschnitt von Siedlergrundstücken.

Station 5: Der Hof Eckhoff

Wenn man fragt, warum überhaupt in dieser unwirtlichen Gegend  in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Leuten ihr Glück versuchten, indem sie bisher unkultivierte Flächen unter den Pflug nahmen, so muss man wissen, dass im Pinnebergischen das Anerbenrecht galt, nach dem Höfe nicht teilbar waren. Der Bauer als Haupt der Sippe bestimmte, wann er das Regiment abgab und welches seiner Kinder er zum Anerben des Hofes einsetzte. Im Regelfall verkaufte er den Hof an diesen Erben. Mit dem Kaufvertrag  verband er möglicherweise eine Abfindung an seine anderen Kinder und die Sicherung von seinem und seiner Frau Altenteil. Mit den Schulden ,die durch diese Verpflichtungen entstanden, wurden die Höfe notariell belastet, und es war Sache des neuen Besitzers, diese Schulden abzubezahlen.

Es gab also durchaus junge Leute, die in der Landwirtschaft groß geworden waren, und die über einen bestimmten Geldbetrag verfügten, mit dem sie, wenn sich die Gelegenheit bot, ein (bescheidenes) Stück Land übernehmen konnten. So haben die meisten Luruper Höfe angefangen: Man erwarb eine halbe Hausstelle und einige Himten (etwa  0,85 Morgen) „Kornland“. Wenn die Erträge gut waren, man noch etwas Geld hatte oder wenn man einen Gläubiger fand, kaufte man in den nächsten Jahren noch etwas hinzu. So war 1746-1789 die gesamte beackerbare Fläche aufgekauft worden, die zuvor als Allmende den benachbarten Dörfern gehört hatte. Ob diese sich das gefallen ließen, wollen wir noch später beleuchten.

Das Land, auf dem wir stehen, gehörte zu Hof 5, den der 38jährige Hinrich Eckhoff besaß. Er hatte ihn 1781  für 1000Mc von seinem Vater Jost Eckhoff gekauft. Dieser hatte 1751 von dem ersten Luruper Bauern, Franz Hinrich Lüders, die Hofstelle gekauft und sein Land durch stetige Zukäufe auf etwa 80 Himten (17 ha) erweitert. Der Hof  ist bis 1894 in den Händen der Familie Eckhoff geblieben, hat sich auch in der Fläche kaum verändert. Sie ist dann zum Besitz von  Jürgen Kleinwort gekommen, der auch schon drei  weitere Höfe, unter anderen den „Luruper Hof“, besaß.

Die Eckhoffstr. ist 1937 anlässlich des Groß-Hamburg-Gesetztes in Jevenstedter Straße umbenannt worden, weil es in Hamburg schon eine Eckhoffstraße gab.

Station 6: Viehtrieb durch Lurup

Die Flurkarte von Lurup zeigt noch eine Besonderheit. Die Höfe liegen,  zu beiden Seiten der Dorfstraße und scharen sich um ein östliches und ein westliches Zentrum, wobei die ersten Höfe im Osten entstanden sind. Insgesamt liegt das Dorf  aber fast am Rand seiner Ländereien.

Dazu muss man wissen, das die Straße bei weitem das älteste Stück des ganzen Dorfes ist. Über sie führte ein alter Handelsweg, der Hamburg und Altona mit dem Norden verband. Insbesondere für die Fleisch- und Vieh-Versorgung der Städte spielte sie eine große Rolle. Die Herden wurden von Uetersen über Appen in die Großstadt geführt. Es spricht viel dafür, dass der Punkt „beym Lurup“ die letzte Raststation vor der Ablieferung an die Stadtkunden war. Oft kamen die Viehhändler den avisierten Herden bis hierhin entgegen und tätigten ihre Geschäfte auf der Schenefelder Heide.

Es ist vielleicht nicht verkehrt, sich in der Nähe eines solchen Platzes anzusiedeln, hat man doch die Möglichkeit von dem Abschluss guter Geschäfte zu profitieren, sei es, dass man Futter, Weide- und  Ruheplätze für die Tiere bereithält und für Händler und Verkäufer Obdach und Verpflegung jeglicher Art. Folgerichtig hat der Besitzer von Hof 2, Hinrich Meyer,  gleich mit dem Kauf seiner Hofstelle eine Krug- Konzession beantragt und erhalten. Diese Wirtschaft florierte sehr gut. Es ist zu vermuten, dass die rasche Ansiedlung weiterer Bauern auch im Hinblick  auf  Gewinne aus dem Viehtrieb stattfand.

Es funktionierte zu gut. 1777 kam dann der existenzbedrohende Schicksalsschlag: Eine königliche Verordnung gebot, dass zukünftig der gesamte Güter- und Viehtransport über die neue Zollstelle in Langenfelde geführt werden musste. Als Hinrich Meyer 3 Jahre später starb war, seine Gast- und Hofwirtschaft überschuldet. Der Stiefsohn und Erbe Christian Meyer weiß sich keinen anderen

Rat als den „allergnädisten Erbkönig und Herrn“ wegen eines Erlasses der Steuerschuld anzuschreiben.

Es heißt in dem Brief:

„(...)  Mein seel. Vater war der allererste, der als ein Fremdling damals sich hier in der wüsten, dürren Sandheide mit allerhöchster Genehmigung aus seinen eigenen Mitteln etablirt hat; seine hoffnungsvollen Aussichten um Nahrung und Brodt in der Heide zu finden, gründete er auf die von Uetersen nach Altona und Hamburg hier vorbey gehende Landstraße, welche täglich mit vielen reisenden Menschen und treibenden Vieh damals im Gange war. Er verband bei seinem kleinen Akker- Wesen eine Wirtschaft und bauete, um jeden Reisenden aufnehmen zu können, außer dem Wohnhaus noch mit schweren Kosten auch 2 große Ställe, welche über die 6000 Mc angelaufen, um auch die vorbey kommenden Pferde, Ochsen, und Schweine, welche diese Landstraße von den Marschländereien her täglich passirten, Stallraum zu verschaffen und übernachten zu können, und sein Unternehmen hatte guten Erfolg, war aber nach Zustandebringung seiner Baue von kurzer Dauer: Indem Ew. Königl. Mäyst. vor einigen Jahren allerhöchst geruheten, eine Zollstädte zu Langenfelde auf der Pinnebergischen Landstrasse anzulegen, und da damit zugleich allerhöchst befohlen wurde, dass alle Viehtrift auf andern Landstrassen von der Zeit an gänzlich untersagt und aufgehoben seyn sollten, ausser der einzigen Pinnebergischen Landstrasse nach Langenfelde zu, damit traf das Schicksal meinen seel. Vater ganz ins besonder, dass alle Nahrung seit dem von der Ueterser Landstrasse nach Altona und Hamburg hier vorbey verlohren gegangen und die vielen Kostbaren Baue seit dem vergeblich stehen und dadurch in grosse Schuldenlast ist gesetzet worden, welche seit der Zeit daraus erwachsenen Lage nicht können mehr guth gemacht werden und mich nun als seinen Nachfolger in die traurigsten Umstände versetzt hat.(..)“

Der allergnädigste Herr hat diese Bitte auf Anraten des Pinneberger Landdrosten abgelehnt.

Station 7: Kleinsiedler 1930

Dem Haus Nr. 98 sieht man von weitem an, dass es mehrfach erweitert worden ist. Es wird noch bewohnt von Anke Schulz, der Autorin des von mir dringend empfohlenen Buches . „Fischkistendorf Lurup“Auf dem Umschlagdeckel ist das folgende Bild abgedruckt:

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Ich entnehme ihrem Buch auch ein Zitat der Hamburger Volkszeitung vom 7.10.1932:

Ungeheure Arbeit und mancher Groschen, vom Munde abgespart, ist in die­sen Garten hineingesteckt worden. Nach Feierabend, am Sonntag, an den drei oder sechs Ferientagen, die es damals (in den 1920er Jahren, A.S.) gab, hat Va­ter im Garten geschuftet. Mancher Schweiß-tropfen hat den Boden gedüngt. Es wurde gegraben und gebuddelt, gesät, gepflanzt, gesteckt; es wurden Wege ge­zogen, Kies und Sand hineingefahren, es wurde gedüngt und gegossen. An hei­ßen Sommertagen schleppte die ganze Familie Wasser. >Es vertrocknet uns sonst alles<, sagte der Alte, wenn die Jungs knurrten, weil sie lieber auf dem Sport­platz sein wollten, und wenn die Mädels einen schiefen Mund zogen, weil sie  zu spät kamen zur Verabredung mit ihrem Schatz. Aber der Alte war unerbitt­lich. Es ging um >seinen< Garten, um das Stück Erde, auf dem er schal-ten und walten konnte, wie es ihm passte; wo kein Meister antrieb und kein Vorarbeiter schnüffel-te, und wo der Erfolg und die Früchte der Arbeit ihm gehören soll­ten. Es war nicht der Besitz, um den es ging, sondern dass er hier nicht betrogen wurde um den Erfolg seiner Arbeit. Und wenn es auch nur ein armseliger Er­trag war. Und die ganze Familie half gern mit. Denn hier konnten sie heraus aus ihrer muffigen, engen Wohnung in der Mietskaserne, aus zusammenge­pferchten Terrassen. Und dann kam die Arbeitslosigkeit. Es wurde immer schwerer, die Miete aufzubringen. Und da machten sie es wie viele. Sie bauten ihre Laube aus. Mancher Groschen wurde abgehungert, um Holz zu kaufen und Schrauben und Nägel. Ein Stück nach dem anderen wurde aus der Woh­nung geschleppt. Und als eines Tages die Räumungsklage kam, als nach langern Laufen und Warten das Wohlfahrtsamt sich weigerte, für die Miete aufzukorn­men, da sagte der Alte: >Ach was, wir werden uns nicht mehr lange herumär­gern, ziehen wir ganz in die Laube!

Station 8: Kirchen in Lurup

Das Dorf  Lurup gehörte wie die übrigen umliegenden Gemeinden bis 1934 zum Kirchspiel Nienstedten. Dort liegt auch die Kirchenchronik, über viele Ereignisse das einzige schriftliche Dokument, über das wir heute heute verfügen. Die Entfernung Nienstedtener Kirche bis zur Luruper Dorfmitte beträgt in der Luftlinie 4,8 km. Nur die Schenefelder hatten es noch weiter. Der sonntägliche Kirchgang war immer mit einer sportlichen Übung verbunden, wenn man nicht Pferd und Kutsche bemühen konnte. Bei Trauungen und  Bestattungen gehörte die kleine Reise zum Veranstaltungsprogamm. Die armen Konfirmanden ! (Sie machten, so wird berichtet, ihrem Frust durch Prügeleien mit den Osdorfern oder den Schenefeldern  Luft).

1934 wurde an der Flurstraße ein Gemeindehaus mit einem kleinen Kirchsaal errichtet. Die Gottesdienste fanden in der Schule Luruper Hauptstraße statt.  Gleichzeitig entstand die katholische St. Bruder Konrad Kirche am Barls, das Gebiet gehörte aber damals noch zu Osdorf.

Alle anderen Luruper Kirchen wurden erst nach 1950  erbaut:

1953 Auferstehungskirche Flurstr.

1958 „Zu den zwölf Aposteln“ Elbgaustraße

1963 Emmauskirche Kleiberweg

1969 Kath. St. Jakobus-Kirche

St. Jakob (der Ältere) starb in Jerusalem den Märtyrertod. Sein Grab wurde in Compostela in Spanien gefunden; deshalb ist er der Heilige der Pilger. Das Relief an der Giebelwand und die Jakobsmuschel sollen an diese Pilgerschaft erinnern.

Station 9: Wappen und Moorlandschaft

Vielleicht kennt jemand von Ihnen das Luruper Wappen ?

(Abb. 3)

Ich glaube, man erkennt auch als Laie, dass es nicht so alt ist, wie die Jahreszahl glauben machen soll. Der Luruper Bürgerverein von 1952 führte es wohl auf Urkunden und die „Luruper    Rundschau“,die Vorgängerin der „Luruper Nachrichten“, hatte es wohl auf der ersten Seite. Die Farben Schwarz-Rot-Gold und die abgebildeten Gegenstände könnten auf eine Entstehung nach 1900  hinweisen. Die im Zentralfeld stilisierte Ähre soll sicher auf die bäuerliche Vergangenheit zeigen. Der jetzige Vorsitzende des Luruper Bürgervereins hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass mit der Jahreszahl kein Luruper Geschichtsereignis verbunden ist.1797 ist in Lurup nichts passiert. Vielleicht sollte damit ein Jubiläum gerechtfertigt werden. Interessant sind die

Gegenstände in den unteren Fächern. Man kann vielleicht das linke Feld als Hirtenstab (mit einem Kuhgehörn) deuten, das rechte als einen Spaten, wie er auch zum Torfstechen benutzt wurde.

(Dank der Kooperation des Eidelstedter Heimatmuseums kann ich Ihnen ein solches Gerät vorführen).

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Das bringt uns darauf, dass wir jetzt mitten im Sprützmoor stehen, einer Fläche, die niemandem gehörte, weil sogar der Viehtrieb zu gefährlich war.  Wobei „Sprützen“ wohl bedeutete, dass an den tiefgelegenen Stellen bei schlechtem Wetter das Wasser unter Druck aus dem Boden trat.

Der hohe Grundwasserstand wurde in dieser Gegend meistens hervorgerufen durch sichelförmige Moränenketten, die den Wasserablauf ins dahinterliegende Elbe-Urstromtal  verhinderten.

Die einstigen Wasserflächen hatten sich meterhoch mit Torfmoos gefüllt und nur Pflanzen, die besonders an ständige Überflutung ihrer Wurzeln angepasst waren, konnten überleben. Da sich kein Humus gebildet hatte, wuchs auch auf abgetorften und trockengelegten Flächen für Jahre nichts.

Station 10: Die Eidelstedter Mühle

Auf unserer alten Flurkarte heißt der Fahrenort noch „Möhlenweg“ und er führte auch zur nächstgelegenen Eidelstedter Wassermühle. Diese lag direkt hinter der heutigen Bahntrasse östlich der AKN-Weiche an einem großen Seegrundstück. Die dortige Lampéstraße erinnert noch an die letzte Müllerfamilie. Aber die Wassermühle wird bereits 1350 erstmalig erwähnt. Die Mühlen waren jeweils im Besitz des Landesherrn, der die Mühlenrechte verpachtete. Deshalb waren die Mühlenpächter sozusagen Amtspersonen. Alle Bauern im jeweiligen Bereich waren bei Strafe verpflichtet, ihr Korn an die Mühle des Landesherrn zu liefern. Für die Mühle Eidelstedt waren dies Stellingen, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen mit Burgwedel, Hummelsbüttel, Ottensen, Bahrenfeld, Othmarschen, Großflottbek, Osdorf, Schenefeld, Lurup und Langenfelde.

Außerdem konnten die Bauern verpflichtet werden, bei der Herrichtung und Instandhaltung der Mühlenwege Dienste zu leisten. Die Eidelstedter Mühle hatte anscheinend  ein besonderes Problem. Der Mühlenteich war zwar ziemlich  groß, aber die Niveauhöhe zum Auslauf Mühlengraben war nicht besonders hoch, sodass, um genügend mechanische Energie zu gewinnen, viel Wasser verbraucht wurde. Um genügend Nachschub zu haben, musste der Fangdieck dafür sorgen, dass nicht zu viel Wasser aus der Umgebung ungenutzt abfloss. Vielleicht ist  auch der Fangdiek  für den hohen Grundwasserstand im Sprützmoor mit verantwortlich.

Der Müller Lampé hat sich, als alles nichts wirklich half, noch eine Windmühle neben sein Wassermühlrad gesetzt. Er war später auch einer der ersten, die eine Dampfmaschine einsetzten (1859).

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Station 11: Siedlervereine und ihre Häuser

Die um 1930 entstehenden Siedlungen zeigt

Abb. 4

Nicht alle waren ungeordnete Behelfsheimansammlungen aus Fischkisten, die gab es vor allem auf dem Exerzierplatzgelände nördlich vom jetzigen DESY -Bereich und zuweilen in Kiesgruben oder in deren Nähe. Es gab aber auch geplante und mit staatlicher oder genossenschaftlicher Hilfe erbaute Siedlungen.

Ein solches Vorzeigeprojekt war die Elbkamp-Siedlung. Hier hatten sich unter Zuhilfenahme eines Notprogramms zur Förderung außerstädtischen Wohnungsbaus Arbeitslose zu einer Selbsthilfeorganisation zusammengeschlossen und 1932 51 Doppelhäuser errichtet.

„Alle Merkmale städtischen Wohnens fehlten. Die eingeschossigen Häuser duckten sich in einer Reihe entlang unbefestigter Feldwege. Bezugpunkte einer städtebaulichen Differenzierung fehlten; irgendeine Infrastruktur war nicht vorhanden. Die zuständigen Schulen der umliegenden Gemeinden (Osdorf, Lurup, Eidelstedt) waren jeweils zwanzig Fußwegminuten entfernt und mußten durch provisorische Anbauten notdürftig dem Ansturm der Siedlerkinder angepaßt werden.

Das erster "Musterhaus" konnte bereits im späten Frühjahr 1932 im Luruper Teil der Öffentlichkeit präsentiert werden. Es handelte sich um ein eingeschossiges Doppelhaus mit Schrägdach, traufständig zur Straße, mittig geteilt in zwei voneinander unabhängige, gleichartige Wohnhälften. Zwei Familien sollten sich also jeweils ein solches Doppelhaus teilen. Jede Haushälfte umfasste zwei kleine Zimmer und eine geräumige Wohnung im Erdgeschoss und entsprach mit diesem Raumangebot kleinsten städtischen Mietwohnungen (Wohnfläche. 52 qm). Hinzu kam das vorläufig nicht ausgebaute Dachgeschoss, das über eine Treppe zugänglich war, aber nur Räume mit schrägen Wänden aufwies.

Ein gartenseitiger Anbau nahm den 'Hauseingang, ein Klosett, eine Futterküche und einen Kleintlerstall auf. Zur Einlagerung selbsterzeugter Lebensmittel aus dem Garten war das Haus voll unterkellert. Zusätzlich war unter dem Stallanbau eine Grube zur Sammlung von Fäkalien angeordnet, die die fehlende Abwasserkanalisation vorläufig ersetzte. Die gesammelten Fäkalien sollten als Dünger im Garten Verwendung finden. Dagegen waren Strom- und Wasseranschluss von Anfang an vorhanden.

Mit dem großen Garten bot die "Siedlerstelle" nicht nur Wohnung für eine Familie, sondern zugleich die Voraussetzungen für eine landwirtschaftliche Produktion. Gemüse- und Obstanbau, Kleintierhaltung und Lebensmittelbevorratung ermöglichten den Bewohnern eine weitgehend selbstversorgende (autarke) kleinbäuerliche Lebensführung, die den aktuellen Krisenbedingungen Rechnung trug.“

Die Mitgliedschaft im Siedlerverein war aufgrund der Nachfrage ein begehrtes Privileg. Um das Unternehmen nicht zu gefährden, wurden Siedler ausgewählt, die gute Voraussetzungen für den Eigenbau mitbrachten. Entgegen der eigentlichen Zielsetzung des Vereins, allen langjährigen   Notstandsarbeitern gleichermaßen die Chance  zum Erwerb eines Heims zu geben, wurden baugewerbliche Berufe bevorzugt. Es waren allein 19 Maurer und Poliere ausgewählt.

Seit 1928 hatte auch die NSDAP die Förderung des Siedlungsbaus in ihr Programm geschrieben.  Sie hoffte auf diese Weise, den bisher vorwiegend von der SPD vorangetriebenen Maßnahmen Entsprechendes entgegenzusetzen. Die Reichtagswahl 1933 aber zeigte, dass die NSDAP keinen Erfolg bei der Wählerschft in  in Lurup und Osdorf hatte Denn gegen den allgemeinen Trend konnten SPD und KPD Stimmengewinne verbuchen.

Mitte März 1933 löste im Zuge der Gleichschaltung der Nationalsozialist Heinrich Schmidt den bisher verantwortlichen Bausenator Oelsner ab, und es galten neue Regelungen:

„Der Kreis der Berechtigten wurde erweitert; langfristige Erwerbslose, Kriegsbeschädigte, Kriegsteilnehmer und Kinderreiche sollten nun bevorzugt berücksichtigt werden. Der Siedlungsbau wurde als Konsequenz hieraus reorganisiert: an die Stelle des Selbsthilfeprojektes für Bauarbeiter und -handwerkeir trat wieder die Aussführung durch Bauunternehmen; die Siedler blieben aber auch weiterhin im Rahmen eines "freiwilligen Arbeitsdienstes" zur Mitarbeit verpflichtet. Als Bautyp setzte sich anstelle des Doppelhauses bald das freistehende Siedlerhaus durch, das seinen Giebel der Straße zuwandte. Diese Hausform, die die Abkehr vom Reihenhaus und vom "kollektiven" Wohnungsbau unterstrich, wurde vom "Kampfbund deutscher Architekten und Ingenieure" (KDAI), einer der NSDAP nahestehenden Standesvertretung, propagiert.

Wichtigstes Anliegen der neuen Machthaber war jedoch die Vergrößerung der Parzellen auf mindestens 1.000 qm (70). Der Schritt zur landwirtschaftlichen Versorgungssiedlung war damit vollzogen.“ Zitate aus Christoph Timm. „Eine Art Wildwest“ Sammlung „Das andere Altona“  Hrgb. A Sywottek Hamburg 1984

Station 12: Außenlager Eidelstedt des KZ Neuengamme

Bei der Planung dieser Wanderung war ich noch überzeugt, dass der Rundgang am Ort des KZ-Außenlagers vorbeiführen müsse, und ich habe mich nur sehr widerwillig von dieser Absicht verabschiedet. Denn der Weg wäre zu weit geworden. Deshalb kann ich Sie nur ermuntern, diesen Besuch des Ortes mit dem Gedenkstein am äußersten Punkt der Randowstraße allein an einem anderen Tag nachzuholen. Mich hat es besonders berührt, als ich dort an einem ruhigen Sonntag,  als junge Leute auf dem dort angelegten Platz Fußball spielten, und in den nahegelegenen Hochhäusern Feiertagsfrieden herrschte. Es war, als versuche die unbefangene Nichtbeachtung der Geschichte dieses Ortes das Grauen vor den dort begangenen Taten zu vertreiben.

Abb. 5

zeigt die Lageskizze, die der Lagerleiter, der ehemalige Unterscharführer Walter Kümmel während seines Prozesses in der Nachkriegszeit angefertigt hat. Das Lager stand auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn, es hatte wahrscheinlich vorher als Fremdarbeiter- oder Kriegsgefangenenlager gedient. An den Ecken des 60 x 80 m großen Geländes standen Wachttürme. Seit dem 2. Oktober 1944 waren hier 500 jüdische Frauen im Alter von 12-60 Jahren interniert. Für sie standen 10 Schlafräume zu Verfügung. Die Häftlinge wurden im Wesentlichen zur Erstellung von Plattenbauten eingesetzt, die an systemkonforme ausgebombte Familien vergeben wurden. Neben der viel zu schweren Arbeit mussten die Frauen  Schikanen und  Prügel  des überwiegend weiblichen Bewachungspersonals sowie völlig mangelhafte Verpflegung und Bekleidung erdulden. Die Nazis haben das System „Vernichtung durch Arbeit“offen formuliert. Erstaunlich war, dass es bei der Aufarbeitung der Vorgänge im und um das Lager in den achtziger Jahren immer noch Hamburger Bürgerinnen und Bürger gab, die das von ihnen Erlebte vergessen, verdrängt und beschönigt haben, auch die Justiz hat nach der heutigen Einschätzung unverständliche Fehler gemacht.

Der Hamburger Schüler Matthias Hütgens schreibt in seiner Arbeit im Rahmen eines Wettbewerbs:

„1982 in dem sechs Monate dauernden Prozeß stand Walter Kümmel für seine Taten im KZ-Außenlager Eidelstedt vor Gericht. Die Anklage lautete auf dreifachen Mord. Die Opfer sollten zwei neugeborene Kinder gewesen sein und eine TBC-kranke Frau, die durch Giftspritzen getötet worden sein soll. Die Zeuginnen brachten dann weitere Todesfälle vor das Gericht, von denen aber nicht mehr als Gerüchte bekannt waren. Eine Zeugin belastete Walter Kümmel schwer. Nach einer schweren Geburt hatte sie am 4. Dezember 1944 einen Jungen zur Welt gebracht Sie berichtete, dass der Säugling am Leben war und schrie. Kümmel war während der gesamten Geburt anwesend. Kümmel oder eine Helferin hätten das Baby in eine Decke eingewickelt und aus dem Entbindungsraum getragen. Am nächsten Tag zeigte eine SS-Frau ihr das tote Kind und sagte ihr, dass es bereits tot geboren worden ist. Andere Häftlingsfrauen im Lager Eidelstedt erzählten ihr dann, dass Kümmel das Baby im Waschraum unter fließendem Wasser ertränkt hätte. Diese Beschuldigungen reichten dem Gericht nicht aus, und es stellte das Verfahren ein. Das Gericht hielt es zwar für erwiesen, dass zumindest in diesem Fall der Säugling auf Kümmels Veranlassung oder durch ihn selbst getötet worden sei, doch es meinte, dass Kümmel nicht "heimtückisch" oder aus "niederen Beweggründen" gehandelt habe. Nach Auffassung des Gerichts handelte es sich um keinen Mord, sondern um Totschlag. Dieses Verbrechen ist aber bereits verjährt. Walter Kümmel verließ als freier Mann das Gericht. Ich möchte nicht Richter sein, aber ich habe mich im Rahmen meiner Arbeit sehr ausführlich mit diesem Prozess befasst und muss sagen, dass das Urteil Fragen hinterlässt. Die anderen Anklagepunkte wurden fallen gelassen, da die Aussagen der Zeuginnen widersprüchlich waren. Dies war die "meisterhafte" Arbeit des neonazistischen Verteidigers Rieger, der einige Verfahren wegen antisemitischer Äußerungen gegen sich laufen hat. Er fragte die Zeuginnen bewusst nach Kleinigkeiten, so dass nach fast 40 Jahren Widersprüche auftreten müssen. Solange solche Menschen die Öffentlichkeit über die damalige Zeit belügen dürfen und solange solche Urteile gefällt werden, darf man nicht aufhören, an der möglichst objektiven Darstellung der damaligen Ereignisse zu arbeiten. (..)“

Station 13: Der Name Lurup und der Streit mit Groß-Flottbek

Wissen Sie, was ein Lurup ist ?

Ich habe eins gefunden ! Das sieht so aus:

Abb. 6

Das Haus liegt nördlich von Kaltenkirchen und ist offensichtlich ein Gasthof an einer Straße außerhalb einer Ortschaft. Etwas Ähnliches könnte man auch auf der Schenefelder Heide vermuten, nämlich dass Hinrich Meyer seinen Gasthof auch „Lurup“nannte . Nun kommen aber die Historiker auf den Plan mit dem richtigen Hinweis, dass in der Urkunde über den Verkauf der ersten Hausstelle an Franz Hinrich Lüder als Grundstücksbezeichnung „beym sogenannten Lurup“ steht und dass diese Urkunde aus dem Jahre 1746 stammt, während der Krug erst im Jahr 1751 gebaut wurde.

Etwas anderes Schriftliches aus der Zeit gibt es nicht. Also kann man fröhlich spekulieren. Wobei das Wahrscheinlichste bleibt, dass die Viehtrecks schon vorher an der Stelle haltgemacht haben und die Treiber und Viehhändler etwas gegen ihren Durst getan haben, wenn auch vielleicht ohne Konzession und auch wenn man nichts über die Kaschemme oder den Unterstand weiß. Andere Namensdeuter weisen darauf hin, dass die häufige dänische Endung -up so etwas wie -dorf bedeutet und „Lur“ ein Familienname sein könnte.

Die knapp 35000 Luruper von heute müssen wohl weiter mit der Ungewissheit leben. Mir gefällt die Version mit der illegalen Gastwirtschaft am besten.

Bei der Frage, seit wann es nun das Dorf Lurup eigentlich richtig gibt, hat man sich inzwischen geeinigt. Denn nachdem die ersten Höfe eingerichtet waren, 1754 waren es 12, versuchten die umliegenden Ortschaften, von ihnen Kommunalsteuern zu erheben, denn schließlich standen die Höfe auf ihrer Allmende, wobei die gemeinsame Schenefelder Heide nie durch Grenzziehung aufgeteilt worden war. Die neuen Zubauern gingen in die Offensive und beantragten 1754 beim Pinneberger Amt, als neue Dorfschaft anerkannt zu werden. Der Antrag landete bei der königlichen Rentenkammer, die dann wiederum den Pinneberger Landdrosten befragte. Der hielt zu den alteingesessenen Dörfern, lehnte den Antrag ab und sorgte dafür, dass die Gemarkungsgrenzen in der Heide festgelegt wurden. Eine Kommission wurde beauftragt, diese setzte Grenzpfähle, die im Süden etwa entlang  der Flurstraße verliefen und im Norden auf eine West/Ostgrenze stießen, die quer durchs Sprützmoor führte. Der Name des westlichen Moors „Schiedmoor“ kann dort seinen Ursprung haben.. Besonders die nunmehr auf Großflottbeker Grund lebenden Zubauern blieben aber renitent und forderten damit eine Klage des Großflottbeker Vogts heraus, die der Landdrost befürwortend nach Kopenhagen weitergab. Kopenhagen hatte zu dieser Zeit andere Sorgen, deshalb kam von dort keine Antwort. Durch Zuwarten wurde so das Jahr 1771 erreicht, inzwischen gab es einen Nachfolger des Pinneberger Landdrosten, der den Lurupern freundlicher gesinnt war. Er verwies auf die anstehende Verkoppelung,  und als diese 1789 abgeschlossen war und der Streit erneut aufflammte, hieß es wohlwollend:

Es ist nicht zu verkennen, dass die Luhrupper sich seit etwa 50 Jahren auf den elendsten Heydegründen angebaut haben, die sie durch viele Mühe und angewandten Fleiß zu brauchbaren Acker und Wiesengrund umschaffen konnten.

Keine der anliegenden Dorfschaften Großen Flottbek, Ostorf, Schenefeld, Bahrenfeld und Eydelstedt konnte bei der großen Entfernung so wenig eigene Plätze urbar machen als den geringsten Nutzen in Absicht der Weidegerechtigkeit davon ziehen. Sie ließen daher 12 Anbauer sich ruhig setzen, bis im Jahre 1759 das gute Fortkommen dieser Leute Neid erregte (…)“

Darauf hieß es dann am 17. August 1793:“Die Rentenkammer in Kopenhagen verfügt in einem Erlass an die Pinneberger Landdrostei, dass jetzt dem Wunsch der Luruper, eine eigene Gemeinde zu bilden, nichts mehr im Wege stünde.“ Dieser Tag wird als Geburtstag von Lurup gefeiert.

Station 14: Architektur im Flüsseviertel

Die meisten Menschen, die hier in den dreißiger Jahren ein Stückchen Land  erobert hatten, waren mit ungeheurem Arbeitseinsatz und Eifer daran gegangen, für sich und ihre Familie eine möglichst autarke Existenz aufzubauen. Ich habe Ihnen vorhin die Schilderung ihrer Einstellung in einem Zeitungsbericht vorgelesen. Natürlich waren ihre selbstgebastelten Heime kein Schmuck für die Landschaft, natürlich konnte eine Stadt wie Hamburg, die schon einmal von der Cholera dezimiert worden war, nicht dulden, dass die Grundstücke auf Dauer nicht an die Kanalisation angeschlossen waren und dass die Wege zu diesen Häusern bei Regen im Schlamm versanken. Misstrauisch wurden von den Siedlern in der Nachkriegszeit die Berichte in den Zeitungen verfolgt, die das „Elend“ in den Behelfsheimquartieren schilderten und Sanierung forderten. Sanierung bedeutete für sie, dass ihnen der Staat die sauer erarbeitete Existenzgrundlage entzog. Den Versprechungen, dass durch Schaffung von gesundem Wohnraum auch den Siedlern geholfen würde, hätte ich an ihrer Stelle erst einmal nicht getraut. So scharten sie sich vernünftigerweise um wort- und schriftgewaltige Personen wie beispielsweise Frida und Walter Reimann und organisierten gewaltfreien Protest.

Mir scheint, die Stadt bemühte sich wirklich, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Sie beauftragte ihren berühmten Stadtbaumeister, den Architekten Bernd Hermkes (Abb. 7) der durch den Bau der Grindelhochhäuser bereits international bekannt geworden war, die Planung des Geländes zwischen Fahrenort und der Stadtgrenze zu übernehmen. Heute findet man besonders den nördliche Teil des Flüsseviertels lobend in Architekturbüchern beschrieben. Hermkes beschränkte sich auf insgesamt 4 Haustypen:

zwei- und dreigeschossige Reihenhäuser

Maisonettenhäuser mit Wohnungen, die sich über 2 Geschosse erstrecken,

schraubenförmig um eine Achse angeordnete 6geschossige Wohnhäuser

Reihen von L-förmigen Flachdachbungalows

So schaffte er eine aufgelockerte Bebauung und vermied Monotonie. Eingebettet sind diese Häuser in großzügige Grünflächen, was die Bewohner der Erdgeschosswohnungen nicht davon abhalten konnte, sich ein kleines Vorgärtchen abzuzäunen. Die großbemessenen Grünflächen hat vor einigen Jahren die SAGA nicht ruhen lassen,  Verdichtungsbauten einzustreuen. Wenn Sie hier also andere Bauten sehen, z. B. Häuser mit Pultdächern, dann sollten Sie wissen, dass dies nachträglich eingestreute  Bausünden sind, von denen auch SAGA-Mitarbeiter einräumen, dass man auf sie hätte verzichten sollen..  

Station 15: Plattenhäuser

Am Eingang des Emmaus-Gemeindezentrums steht eine Gedenktafel, die daran erinnert, dass in dieser Straße von weiblichen jüdischen KZ-Häftlingen sogenannte Plattenhäuser (Ley-Buden im Volksmund) errichtet worden sind. Man muss schon sehr genau suchen, wenn man davon Überreste finden will, und in ein paar Jahren werden auch sie verschwunden sein. Die Gedenkstätte Neuengamme hat aber ein Plattenhaus restauriert(Abb. 8) und als kleines Museum in Poppenbüttel hinter dem AEZ eingerichtet. Wenn Sie in die Gegend kommen, empfehle ich den Besuch. Es steht auch viel Material über das Außenlager Eidelstedt zur Verfügung. Mit dem Wissen über das Aussehen dieser Plattenhäuser entdeckt man auch hinter hohen Hecken ein wahrscheinlich letztes Exemplar.

Bilder vom Bau der Plattenhäuser und eine glückliche Familie

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Station 16: Wohnprojekt Brachvogelweg

Zu den Siedlungsformen, die wir im Verlauf unserer Wanderung bereits kennengelernt haben, soll jetzt noch das  für unseren Stadtteil jüngste und modernste Beispiel hinzukommen Es nennt sich „Wohnprojekt Brachvogelweg“. Was man auf den ersten Blick sehen kann, sind die 3 Innenhöfe, auf die sich die Haustüren und Fenster öffnen. Sie vermitteln den Eindruck, dass ein Miteinanderleben der Bewohner ausdrücklich erwünscht ist. Die Anlage der Kinderspielgeräte, der Nutzgartenflecken, die sich um den Innenhof scharenden Räume ,die ausgesperrten Autos dienen dieser Zielrichtung. Außerdem fällt die Photovoltaikanlage auf den Balkondächern und, soweit man ihn sehen kann, der Grünbewuchs der Dächer auf.

 Was man als Laie nicht sehen kann, ist das Energiekonzept dieser Häuser. Die Reihenhäuser sind als Passivhäuser ausgeführt, d.h. sie kommen mit einer kaum ins Gewicht fallenden Zusatzheizung aus. Das wird erreicht durch 52 cm Außenwandschichten, Dach- und Bodendämmung, Südausrichtung, Dreifachfenster, gedämmte Türen, Zuluft/Abluft-Wärmeaustausch usw.

Die querliegenden Niedrigenergiehäuser sind ebenfalls sehr gut isoliert, die übrigen Energiespar-Einrichtungen sind etwas bescheidener, aber der Heizenergiebedarf ist ebenfalls beneidenswert gering (<  50 kWh/qm). Außerdem wird durch Vermeidung von versiegelten Flächen und Dachbegrünung dafür gesorgt, dass das Regenwasser nicht ins Abwasser gerät; es wird durch sinnvolle Maßnahmen Brauchwasser gespart,  und es wird eine standortgerechte artenreiche Bepflanzung gefördert.

Die Bewohner der Siedlung sind Mitglieder einer Genossenschaft . Bei Ausscheiden eines Bewohners haben die anderen Bewohner ein Mitspracherecht  bei der Auswahl eines neuen Genossen.

Station 17: Luruper Schulen

Die Luruper Schulchronik liest sich wie folgt:

1755 Der Schneider Ludwig Pentz unterrichtet die Luruper Kinder als Hauslehrer

1766 Lehrer Pentz nimmt in der noch unfertigen Schulkate den Unterricht auf.

1806 Der Lehrer Pentz verstirbt. Sein Nachfolger wird Jochim Dreyer

1808 Allg.Schulordnung für Schleswig/Holstein; zahlr. Ausstattungsverbesserungen

1821 Das Schulhaus brennt ab.

1822 Neues Schulhaus Hauptstr. 132

1823 Lehrer Dreyer versetzt nach Rissen.  Häufiger wechselnde Nachfolger

1855 Schulstube wird auf die doppelte Größe verlängert (Lehrerwohnung 2. Zimmer)

1894 Neues Schulhaus auf der anderen Straßenseite (73 Schüler)

1904 85 Schüler; Erweiterung des Schulgebäudes; Ober- und Unterklasse

1909 142 Schüler; Schichtunterricht

1910 2 weitere Klassenräume

1911 242 Schüler; Schichtunterricht

1936 15 Räume für 18 Klassen mit 804 Schülern

1937 Neue Schule in Osdorf. Schülerzahl in Lurup sinkt auf 700

1945 Johannes Külper übernimmt die Schulleitung

1948 1364 Schüler, 4-Schichtenunterricht. Schule wird geteilt: Ost u. West(Pavillon)

1950 Volksparkschule erbaut.

1952 Schule Swatten Weg

1957 Schule Langbargheide

1960 Fridtjof-Nansen-Schule

1962    Schule Vermoor

1966 Schule Franzosenkoppel

1968 Schule Vorhornweg

1974 Schule Glückstädter Weg

1976 Sonderschule Böttcherkamp A und B

1969 Goethe-Gymnasium

1980 Geschwister-Scholl-Gesamtschule

Seit Mitte dieses Jahres hat Lurup wieder ein Problem mit seiner Schulversorgung. Laut Schulentwicklungsplan soll die Schule Luruper Hauptstraße, die Stadtteilschule werden soll, die Ausbildung in den Klassen 11-13 nicht durchführen. Das bedeutet, dass Schüler, die  nach der SEK1-Ausbildung  das Abitur machen wollen, auf die Geschwister-Scholl-Schule wechseln müssen. Dagegen formiert sich in Lurup zu Recht Widerstand1).

1) Dem Widerspruch wurde inzwischen stattgegeben. Die Schulbehörde schlägt jetzt vor, dass ein SEK2-Zug auch an der Stadtteilschule Luruper Hauptstraße stattfindet.

Station 18: Sandprofile am Böverstland

An diesem markanten Punkt können wir nochmal eine Reihe von Jahren weiter zurückschauen als bis zur Dorfgründung. Wir stehen nämlich ganz in der Nähe einer Sandgrube, die folgendermaßen aussah:  

Abb.9

Die Sandgrube hatte in den 60er Jahren Besuch von einer Arbeitsgruppe aus den Geowissenschaften der Uni Hamburg. Diese Gruppe hatte ein Verfahren erfunden, um Erdformationen durch Lackabzüge zu fixieren und zu archivieren.

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Die Grube Böverstland war von besonderem wissenschaftlichen Interesse, weil hier Erd/Sandstrukturen aus zwei  verschiedenen Erdzeitaltern aufeinanderlagen. Die untere aus dem Pliozän- heute sagt man wohl Gelasium- ist wohl etwa 2 Mio. Jahre alt. Darüber haben die Gletscher der Saaleeiszeit ihre Fracht, ein buntes Gemisch ihrer Mitbringsel aus Skandinavien und deren Verwitterungsprodukte abgeladen. Die letzten Gletscher sind hier vor 180.000 Jahren abgeschmolzen. Die etwa 20 hier in der Grube Böverstland genommenen Abzüge beeindrucken – abgesehen von ihrem wissenschaftlichen Wert – auch durch grafische Ästhetik. Zwei von ihnen sind imFoyer des Geomatikums ausgestellt, die anderen lagern dort im Archiv, einige schmücken auch die Häuser von Personen, denen die Universität zu besonderem Dank verpflichtet war. (Abb. 10-12)

Station 19: Müllgruben

Sand war für die Baubranche, aber auch für viele Industriezweige ein wichtiger Rohstoff. Wir haben die Glashütte erwähnt, auf der Grenze nach Schenefeld gab es ein Hartsteinwerk, auch die „Schmirgel“ war damals auf  Luruper Sand angewiesen,die Hauptmenge wurde aber als Beton und  Mörtel verbaut. Für Luruper Bauern war es attraktiv, wenn aus ihrem kärglichen Acker eine ergiebige Sandkuhle wurde. Eine Luftaufnahme von 1927 zeigt das Straßendorf Lurup mit zwei ausgedehnten  Grubenflächen ( im Dreieck Luruper Hauptstraße/Jevenstedter Straße/ Böverstland) die Grube  am Grandkuhlenweg  ist nicht zu erkennen.

Wenn die Sandlager abgebaut sind, kann man wiederum etwas gegen die Not der nahe liegenden Metropole tun, die dringend Platz für ihren Trümmermüll sucht. Deshalb stehen wir jetzt auf einem Berg und können die Aussicht genießen.

Dass in die Sandgrube nicht nur harmloser Trümmermüll geworfen wurde, mussten einige Anwohner am nahegelegenen Willi-Hill-Weg verspüren und eine Zeit lang ertragen, bis die hier auf dem Berg stehende Entgasungsanlage fertig wurde .

Station 20: Lurup vom Verkehr vergessen

Erinnern Sie sich noch an die Entscheidung der dänischen Krone über das Zollamt in Langenfelde ?

Für Lurup eine schwere Entscheidung ! Nicht nur weil dem damaligen Gastwirt Hinrich Meyer und seinen Erben eine sichere Einnahmequelle versiegte, sondern man kann auch davon ausgehen, dass die Eisenbahnlinie Altona-Kiel dem Verlauf der Landstraße folgte.

Verkehr ist prägend. Die Eisenbahnlinie sorgte auch dafür, dass sich entlang ihrer Trasse Industrie ansiedelte, besonders Industrie, die auf den Transport von Massengütern angewiesen war. Die erste

Fabrik in Eidelstedt war eine Glashütte(1877). Sie stellte aus dem Sand der Umgebung Geneverflaschen her. Dann sorgte die Fischmehlproduktion und die Fischkonservenherstellung für die berüchtigten Eidelstedter Düfte. Dazu trug sicher auch die Schwefelsäureproduktion bei. Eine Bleischmelze siedelte sich an, die Tivoli-Werke brauten Bier, es wurden Seifen aus Knochen, Öle aus Harzen erzeugt, Kunstdünger fabriziert und Gummireifen und Drahtnetze in großem Maßstab hergestellt. Die Eisenbahn reagierte auf ihre Industriekunden und erstellte den größten Hamburger Verschiebebahnhof in Eidelstedt, der bis zu seiner Betriebseinstellung die nördliche Grenze zu Eidelstedt bildete.

Und Lurup ?  Lurup beging feierlich den Tag, als es eine Straßenbahnendhaltestelle erhielt, die nach ein paar Jahren wieder abgebaut wurde, und nun wird es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit dem Anschluss an ein Stadtbahnnetz vertröstet.

Es hat natürlich auch seine Vorteile, wenn man in der Abseite sitzt. Die Besitzer der vielen Eigenheime, an denen wir vorbeigelaufen sind, schätzen ihre feierabendliche Ruhe. Tagsüber sind sie irgendwo  in Hamburg unterwegs, aber abends kehren sie  in ihr Domizil zurück,  das sich nicht unterscheidet von Eigenheim-Quartieren in Lokstedt oder Alsterdorf oder  Finkenwerder.

Station 21: Luruper Chronologie

Wir sind beinahe an unserem Ausgangspunkt angekommen, und ich hoffe, ich konnte Ihnen einiges erzählen, das Ihren Blick auf  Lurup und seine Geschichte geschärft hat. Die Reihenfolge unserer Stationen war von den jeweiligen Orten und deren Geschichte vorgegeben. Dadurch ging es in der Chronologie  wild durcheinander.

Um dies ein wenig zu korrigieren, habe ich mir erlaubt, in der Abb, 13 ein paar relevante Jahreszahlen  zusammenzustellen. In Blau stehen auf der linken Seite Jahreszahlen von Ereignissen, die von außen auf die Luruper Geschichte eingewirkt haben, während Luruper Ereignisse in Rot auf der rechten Seite stehen.

1640 Mit dem Tod Ottos V. Von Schauenburg stirbt die männliche Linie der Schauenburger aus. Die rechtmäßige Erbin wird gezwungen, die Grafschaft Holstein-Pinneberg an die dänische Krone zu verkaufen.

1664 Verleihung der Stadtrechte an Altona.

1770 - 1720 Nordischer Krieg (beendet durch den Frieden von Frederiksborg)



Erster Siedler inder Schenefelder Heyde 1746


Aufteilung der Schenefelder Heide 1746 - 81


Antrag auf eigene Dorfschaft 1754


Festlegung der Gemeinegrenzen Osdorf/Groß-Flottbek/Bahrenfeld/Schenefeld 1755


Klage des Groß-Flottbeker Vogtes gegen die Steuerverweigerung der Luruper 1759
1772 Hinrichtung von Johann Friedrich von Struensee.



Verordnung über den Weg von Viehtransporten nach Altona 1776


Verkoppelung der Feldmark 1789


Rentenkammer Kopenhagen bestätigt Recht der Luruper auf eigene Gemeinde 1793


1.Vogt Hans Hinrich Timm 1794


Volkszählung (132)Einwohner 1802




1807 Dänemark schließt ein Bündnis mit Napoleon.

1813/14 Die Franzosen werden in Hamburg von den Befreiungstruppen belagert (Kosackenwinter) Erhöhung der landw. Produktion durch Reformen von Caspar Voght (Erhöhte Viehhaltung, Düngung mit Fäkalien aus Altona) ab 1815
1813 Staatsbankrott in Dänemark



2. Vogt Johann Ernst Voß 1820


3. Vogt Johann Ernst Voß (bis 64) danach Jost Eckhoff 1824
1864 Deutsch-Dänischer Krieg. Der dänische König entsagt allen Rechten auf die Herzogtümer Schleswig und Holstein.

1867 Schleswig Holstein wird preußische Provinz. 1.Gemeindevorsteher Hinrich Meyer 1867


2. Gemeindevorsteher Claus Eckhoff (Neben 13 Bauernfamilien 4 Fuhrunternehmer, 4 Handwerker, 4 Lehrer 1897


762 Einwohner 1907


Städter und Siedler entdecken Lurup 1910
1927 Eingemeindung der Elbgemeinden in die Stadt Altona Die „Schmirgel“ wird gegründet 1927
1937 Groß-Hamburg-Gesetz

In jedem Museum, das bäuerliches Leben schildert, (z. B. das Museum am Kiekeberg), kann man erfahren, dass das Leben auf einem Bauernhof in der Vergangenheit hart und entbehrungsreich war.

Für Lurup kamen einige Besonderheiten hinzu. Die dänische Herrschaft war in Bezug auf kriegerische und finanzielle Erfolge ausgesprochen erfolglos: Wenn es dem Zentrum schlecht ging,   wurde Holstein als besetztes Land behandelt. Die Luruper Bauern wurden von den Nachbargemeinden lange als Eindringlinge betrachtet. Der eher unfruchtbare Boden machte jede Aussaat zum Risiko. Die Dorfchronik verzeichnet so manchen Konkurs oder Verkauf in letzter Minute.

Umso stärker ist anzuerkennen, dass am Ende des 19. Jahrhunderts Lurup so ansehnlich geworden war, dass die Städter hierher gern ihre Sonntagsausflüge unternahmen. Man wanderte durch die immer noch unverkennbare Moorlandschaft und kehrte im „Lindenpark“ oder im „Luruper Hof“

ein. Zwischen Volkspark und dem Dorf bauten sich einige Vermögende ihre Villen oder Ferienhäuser.

Dieser Aufschwung wurde vom 1. Weltkrieg und von der Weltwirtschaftskrise und ihren Folgen jäh unterbrochen. Fortan galt Lurup in den Augen der Hamburger als Rückzugsgebiet von sozial Vernachlässigten, Arbeitslosen, Aussiedlern und schließlich Ausgebombten. In der Nachkriegszeit, so erinnern sich die Rissener, kam man nach Lurup, wenn man vom nahe gelegenen Verschiebebahnhof Kohlen klauen musste.

Wer wie wir heute durch Lurup wandert, ist ein wenig von der Verschiedenartigkeit der Einzelhäuser überrascht. Von dem bescheidenen kleinen Spitzgiebel über Fertighauslösungen bis zur  italienischen Villa ist eigentlich alles vorhanden. Besonders fällt auf , dass viele Grundstücke geteilt worden sind, es gibt Pfeifenstiele ohne Zahl, neue Sackgassen sind in den letzten Jahren entstanden. Es ist sicherlich nochmal viel Geld geflossen in Lurup, von dem die ehemaligen Eigentümer sich nichts haben träumen lassen.

Station 22: Die Geschichte von Hof 15

Lassen Sie uns zum Abschied noch einmal eine Hofchronik aus der westlichen Hälfte des Dorfes (Abb. 14) anschauen:

Drei Brüder, Behrend, Claus und Hinrich Pein  hatten sich bereits in Lurup auf je einer Hofstelle angesiedelt, da kam auch ihr ältester Bruder Hans hinzu. Er erwarb 1761  die Hofstelle 15, zog sich aber nach 10 Jahren aufgrund seines Alters wieder nach Schenefeld zurück. Der Käufer Jacob Niemeyer machte 3 Jahre später Konkurs und der Hof kam an die Witwe des Hauptgläubiges, eine Elisabeth Susanna Baumgarten. 1775 ist der  Hof, durch einen Verwalter bewirtschaftet, so weit vernachlässigt, dass ihn einer der Brüder Pein, nämlich Claus von Hof 11 für eine geringe Summe erwerben kann. Als er zwei Jahre später stirbt, erbt seine Witwe Catharina Elsabe. Bei ihrem Tod 1794 geht der Hof an ihren Sohn Claus Pein. Bei dessen Tod 1814 kommt der Hof unter den Hammer. Er wird ersteigert von Lorenz Dittmer Möller. Dessen Witwe heiratet 1838 Hinrich Kröger, und seit dieser Zeit ist der Hof im Besitz der Familie Kröger, die ihn durch weitere An- und Verkäufe veränderte.So erwarb beispielsweise der Bäckermeister Gottfried Hugo Rögner ein Teilstück des Lands auf dem Eckerkamp. 1923 ging der Besitz auf Anna Dorothea Kröger, verheiratete Clasen , über. Die Hofländereien waren 1950 bis auf einen kleinen Rest verkauft. Drei Jahre später malte Carl Balzer ein Bild von Wohnhaus und Scheune, bevor das Wohnhaus wegen einer Verbreiterung der Luruper Hauptstraße abgebrochen wurde (Abb. 15).